Leonie Skiba – Seminar Film und Frauenrechte in Afghanistan und Iran

Ein Beitrag von Leonie Skiba im Rahmen des Seminars „Film und Frauenrechte in Afghanistan und Iran“.

Hinweis: die folgenden drei Texte enthalten Spoiler zu den Filmen SIEBEN TAGE, EIN KLEINES STÜCK VOM KUCHEN und STEIN DER GEDULD!

Ein neuer Blick aufs Mutter-Sein in SIEBEN TAGE (2025)

SIEBEN TAGE. Ein Film, der sich das vorherrschende Bild der Mutter vornimmt, es zwischen den Zeilen veranschaulicht, auf direkte Weise hinterfragt, und letztendlich bricht. Es wird jenes alternative Bild einer Mutter gezeichnet, das sich gegen jegliche Erwartungen an Mütter stellt. Erwartungen, welche unsere etablierten Geschlechterrollen abermals untermalen: Eine Mutter sorgt sich um ihre Familie, nimmt sich Zeit für sie, stellt sie an erste Stelle. Ein Vater hingegen soll diese Familie lediglich versorgen – wenn er dafür Zeit und persönlichen Kontakt mit ihr verringern muss, scheint das als bitterer Beigeschmack akzeptiert zu sein. Für manche wahrscheinlich gar nicht mal das; es ist halt nun mal so, Normalität. Aber wehe, eine Frau tritt Wege an, die die Zeit mit ihrer Familie verringern. Sie soll sich doch um ihre Kinder kümmern, sie soll bei ihnen sein. Das kennen wir meist aus Karrierewegen, die vermeintlich zeitintensiv sind, sehr präsent beispielsweise bei Politikerinnen. „Und wer passt auf deine Kinder auf?“, scheint da eine alltägliche Frage zu sein. Auch scheint diese Frage relevant genug, ihr ganze Zeitungsartikel zu widmen, wenn doch über ganz andere Aspekte im Leben und Schaffen der Politikerin berichtet werden könnte. Frauen werden eben immer wieder reduziert. Mithilfe von Maryam bietet Regisseur Ali Samadi Ahadi eine Projektionsfläche, die Frauen nicht in ihrer Handlungsfähigkeit reduziert.

In SIEBEN TAGE wird das etablierte Mutterbild mitsamt seiner Erwartungen nämlich gebrochen. Die hier porträtierte Mutter, also Maryam, steht vor dem Konflikt, sich ihrer Kinder wegen gegen ihren jahrelangen Kampf gegen das iranische Regime zu entscheiden und sich vollständig in die etablierte Mutterrolle einzuordnen.

Als sie aus medizinischen Gründen befristet aus ihrer Haft entlassen wird, hat ihre Familie bereits einen Plan geschmiedet, sie zu ihrem Mann und ihren Kindern nach Deutschland zu bringen. Ich mag es fast nicht gestehen, aber ich habe darauf gehofft, dass sie sich gegen das scheinbar friedliche Leben bei ihrer Familie in Deutschland entscheidet. Ich habe während des Films zwei Wege gesehen, die hätten eingeschlagen werden können: der Weg der fürsorglichen Mutter, welche doch viel eher das Verlangen nach dem Großziehen der Kinder haben sollte, als der Vater, welcher hier tatsächlich in dieser Rolle ist; und das der Frau, die hinter ihrer politischen Einstellung steht, und sich ebendieser Werte wegen gegen ihre Pflichten als Mutter entscheidet. Eine Entscheidung, die so vielen Männern auf dieser Welt ganz leicht zu fallen scheint, der Mütter aber meist verwehrt bleiben. Ich schätze SIEBEN TAGE als Film, der diese parallele, aber unterrepräsentierte Realität ausschmückt. Nebenbei verdeutlicht er eine der vielen Realitäten von Menschen, die sich auf der Flucht befinden.

So sehr man sich bei den herzerwärmenden Szenen des Wiedersehens und des neuen Kennenlernens, der Versöhnung und Verbindung, ein Happy End gewünscht hat – das herzzerreißende und dennoch offene Ende war notwendig, um das alternative Mutterbild aufrechtzuerhalten. Ich denke, Maryam hat ihre Entscheidung sofort getroffen, und die wenigen Tage, die sie mit ihrer Familie verbringen konnte, als die womöglich letzten mit ihnen akzeptiert und genossen. So wird auch das Konzept von Zeit hinterfragt: für Maryam und ihre Kinder waren die gemeinsamen Tage eine kleine Unendlichkeit. Sie werden sich wahrscheinliche für den Rest ihrer Leben an die Zeit erinnern. Parallel baten sie eine Möglichkeit, zu träumen: und ermöglichten somit den Kindern, in ihrem Schmerz und ihrer Trauer Akzeptanz für Maryams Handeln zu finden.

Viele Fragen, aber immerhin EIN KLEINES STÜCK VOM KUCHEN (2024)

In unserem Seminar scheinen mehrere Filme die Relevanz von Zeit aufgezeigt zu haben: während die namensgebenden sieben Tage in Ahadis Film dazu dienten, unserer Hauptcharakterin Maryam wertvolle gemeinsame Zeit mit ihren Kindern zu ermöglichen, wird auch unserer Hauptcharakterin Mahin in EIN KLEINES STÜCK VOM KUCHEN eine kurze Zeit des Neuanfangs, des Entdeckens, des Fürsorglichseins und Liebe Schenkens, sowie des Träumens ermöglicht.

Seitdem ihr Mann starb, fühlt sich Mahin einsam. Dabei hat sie so viel zu geben: sie liebt es, sich um ihre Liebsten zu kümmern, lädt ihre Freundinnen zum Abendessen in ihrer liebevoll eingerichteten Wohnung ein und erlaubt ihnen, sich in ihrem zu Hause sicher und wohl zu fühlen. Auch der Kontakt zu ihrer Tochter im Ausland ist ihr wichtig. Die bunte Decke für ihren Enkel hat sie doch fast fertiggestrickt, sie hebt sie in ihre Handykamera. Doch dann wird das Telefonat abgebrochen. Wäre da doch ein Mann, dem sie ihre Fürsorge entgegenbringen kann. Aber wie soll sie als siebzigjährige Witwe, im Iran der 2020er, eine neue Liebe finden?

Die Antwort darauf findet Mahin vielleicht in einem Café für Rentner:innen. Ihr gegenüber sitzt ein Mann, alleine, und verschwindet nach dem Essen wieder auf seinem Job: er bringt auch noch in seiner Rente Menschen als Taxifahrer sicher zu ihren Zielorten. Mahin hat ein Auge auf ihn geworfen – am Empfang fragt sie gleich nach seiner Information. Ihr wird hier eine Handlungsmacht verliehen: sie begehrt einen Mann und macht den ersten Schritt – und der hat Erfolg. Faramarz begleitet sie nach Hause. Was die beiden hier erwartet ist eine kleine Freiheit in einem unfreien Land: sie haben Spaß, essen köstlich, Mahin backt einen Kuchen, sie trinken Alkohol, äußern gegenseitiges Begehren. Und: sie träumen. Sie träumen von einem Leben zu zweit. Doch dann wird ein anderer Traum Faramarz‘ erfüllt; und zwar jener, nicht alleine sterben zu müssen, und sich darum zu sorgen, wann und von wem er dann überhaupt gefunden wird.

Mir und meinen Kommiliton:innen blieben viele Fragen und Uneinigkeiten offen. War sich Faramarz bewusst, was er tut? Oder wollte er Viagra nehmen, um Mahin nicht zu enttäuschen? Wenn es Absicht war, wieso nimmt er hin, dass er Mahin für den Rest ihres Lebens traumatisieren wird? Werden sich die Mitarbeiter des Taxiunternehmens nicht fragen, wohin Faramarz verschwunden ist, und führt die letzte Spur dann nicht zu Mahin? Wieso, um Himmels Willen, konnten Mahin und Fararmaz nicht einfach gemeinsam alt werden??! Nun gut, genug Frust abgelassen. Es handelt sich eben nicht um eine Hollywood-RomCom.

Was jedoch da bleibt, und das unumstritten: Mahins und Fararmaz‘ kleine gemeinsame Realität, ihre gemeinsame Zeit, eben ein kleines Stück vom Kuchen. Und das ist immer noch besser als gar kein Stück vom Kuchen.

Mit Mahin bekommen wir eine Frau zu Gesicht, die in ihrem höheren Alter ihre Hoffnung auf Romantik nicht aufgegeben hat. Sie begehrt, umwirbt, und findet daraufhin eine Erwiderung auf ihr Begehren. Mit ihr wird Frauen im Iran ein Sprachrohr gegeben, ihre Bedürfnisse und ein kleiner Teil ihrer Probleme werden gezeigt. Wenn auch einige Fragen offenbleiben, so können doch auch die Zuschauenden ein kleines Stück vom Kuchen, eine kleine geteilte Freude, miterleben.

Metaphorischer Feminismus in STEIN DER GEDULD (2012)

CONTENT WARNUNG: VERGEWALTIGUNG

Ich beginne gleich wieder mit dem Thema Zeit. In STEIN DER GEDULD dient die Zeit, in der ihr Ehemann handlungsunfähig ist, unserer Hauptcharakterin als Chance. Eine Chance, frei zu sein – frei ihre Geschichte zu erzählen, sich frei entfalten zu können, ihre Bedürfnisse zu äußern.

Der Stein der Geduld dient als Metapher: in der persischen Mythologie bietet er ein Ventil, um Sorgen an ihm abzulassen, bis er aufgrund der ihm zugetragenen Last in tausend Stücke zerbricht.

Da er von einer Kugel getroffen wurde, liegt ihr Mann im Koma, sie versorgt ihn mit all den ihr möglichen Mitteln. Durch die Verwundung mag man denken, ihr Mann sei es, der leide. Und doch scheint es, als spüre er gar nichts – er erwidert keinerlei Reaktionen auf ihre Berührungen und Worte, zwei Explosionen in unmittelbarer Nähe der Wohnung lassen ihn gänzlich unbeirrt.

Wer hingegen leidet, ist die Frau. Körperlich unversehrt im Gegensatz zu ihrem Mann, und doch Leidträgerin. Sie leidet und sorgt sich; sorgt sich um ihre Kinder, um sie muss sich schließlich auch gekümmert werden. Sorgt sich um Geld; woher bekommt sie die Mittel, um weiterhin Medikamente für ihren Mann zu besorgen? Und dann beginnt sie: In dem Glauben, er höre sie nicht, fängt sie an, ihm ihre Sorgen zu erzählen. Wie einem Stein der Geduld. Sie erzählt von ihrer Kindheit, ihrem Leiden, ihrer Angst. Erzählt von der gemeinsamen Hochzeit, welche in Wahrheit alles andere als gemeinsam war – da ihr Mann verhindert war, wurde sie stellvertretend mit seinem Gewehr liiert. Und genau so ist es nun die Kugel eines Gewehrs, die seine Anwesenheit, zumindest die geistige, erneut verhindert. Für die Frau ist es an dieser Stelle jedoch eine Ermächtigung, da sie nun nicht mehr den Einschränkungen ihres Mannes unterlegen ist. War sie vorher in seinen Zwängen, auch wenn er physisch abwesend war, so ist sie es nun nicht mehr, obwohl er nun physisch anwesend ist.

Unsere Hauptcharakterin gewinnt mit ihrem Grips und ihrer Sympathie unsere Herzen. Auch ihre Tante, welche als Prostituierte arbeitet, kommt mit Anekdoten und Seitenhieben gegenüber Männern mehrmals zu Wort. Der Punkt der Prostitution wird unserer Hauptcharakterin helfen, einer Massenvergewaltigung zu entkommen – als Soldaten ihre Wohnung stürmen, greift sie auf diese Lüge zurück. Sie weiß, dass sie als Jungfrau nicht verschont geblieben wäre. Und doch kommt es zu einer Vergewaltigung. Mit diesem bitteren Beigeschmack jedoch entwickelt sich eine Beziehung mit selbstbestimmtem Sex, der von unserer Hauptcharakterin aus geleitet wird. Und so offenbart sich auch, dass auch die Kinder nicht von ihrem Ehemann stammen. Wir hören über weibliche Lust, weibliches Verlangen und Genuss. Und all das durch den Monolog vor ihrem komatösen Mann. Zwischen den Zeilen: ihre Enttäuschung über ihn.

Abermals sehen wir die Geschichte einer sich selbst ermächtigenden Frau, die einen Prozess der Erkenntnis durchlebt und am Ende einen Befreiungsakt tätigen kann. Die Zeit während des Komas ihres Mannes, die ihr zur Reflexion verhilft, ist von großer Bedeutung.

Ob das Schweigen des Mannes hier symbolisch gesehen werden kann, für all die afghanischen Männer, die das Leid der Frauen zwar sehen und erleben, ihre Stimmen aber nicht erheben (können)? Und doch ist es letztendlich ihr Mann, der an all dem zerbricht. Eine gerechte Welt ohne das Leiden marginalisierter Gruppen würde eben allen Leuten helfen.