Racial Profiling in Bochum

Plakate gegen Rassismus bei einer Demonstration

Beitragsbild: © Amnesty International, Foto: Jarek Godlewski

Dieser Beitrag gehört zu einer losen Reihe, in der sich Aktive der Bochumer Amnesty-Gruppe mit Themen außerhalb der derzeitigen Gruppenarbeit auseinandersetzen. Ein Gastbeitrag.


Am 15.09.2020 wurde ein Fall einer mutmaßlich diskriminierenden Polizeikontrolle eines Bochumer Schülers öffentlich. Wenn der Vorfall wie geschildert stattgefunden hat, ist es ein typischer Fall von Racial Profiling. Darunter sind diskriminierende Fahndungsmuster zu verstehen, wie etwa die Durchführung polizeilicher Maßnahmen allein aufgrund äußerer Merkmale wie der Hautfarbe. Amnesty International kritisiert diese menschenrechtswidrige, aber weit verbreitete Praxis seit Jahren.

Im vorliegenden Fall berichtet der 16-jährige Bochumer Schüler Ada Ç. bei bo-alternativ.de und in der WAZ, wie er auf dem Schulweg von zwei Zivilpolizisten angehalten und aufgefordert wurde, sich auszuweisen. Da sich die beiden Männer auch auf Nachfrage nicht als Polizisten auswiesen, hielt er sie für Kriminelle. In Panik versucht er, zu fliehen, wird jedoch überwältigt, zu Boden geworfen und fixiert. Erst als Umstehende auf die Situation aufmerksam werden, lassen die Polizisten von ihm ab.

Die Polizei bestätigte laut WAZ im Nachgang den Einsatz, weist jedoch die Vorwürfe von sich. Ada Ç. sei wegen des Verdachts auf Drogenhandel und Waffenbesitz angehalten worden. Die Polizisten hätten sich sofort ausgewiesen und die Kontrolle sei „in jeder Form korrekt verlaufen“.  Im Umfeld der Schule sei in der Vergangenheit wiederholt mit Drogen gehandelt worden. Der Polizeisprecher Volker Schütte machte gegenüber der WAZ keine Angaben, warum ausschließlich Ada Ç. kontrolliert wurde. „Wenn es Anlass zu Beschwerden gebe, könne jedermann diese direkt bei der Polizei vorbringen“, beschreibt er die Möglichkeiten zur Untersuchung des Vorfalls.

Wenn der Vorfall wie von Ada Ç. geschildert geschehen ist, steht er damit charakteristisch für mehrere Problemfelder, auf die Amnesty International wiederholt in Kampagnen und Positionspapieren hingewiesen hat:

Racial Profiling wird in Deutschland weit verbreitet praktiziert, aber von der Polizei und politisch Verantwortlichen entweder gar nicht als solches erkannt oder nicht als Problem verstanden.  Das zeigen nicht nur die Recherchen von Amnesty International (siehe etwa das Positionspapier zu Menschenrechtswidrigen Personenkontrollen / Racial Profiling von 2016), sondern auch aktuelle Gerichtsverfahren, wie etwa die Einstufung einer polizeiliche Identitätsfeststellung eines schwarzen Deutschen am Bochumer Bahnhof als nicht verfassungsgemäß. Die Polizei verletzt mit Racial Profiling nicht nur individuelle Rechte: sie verstärkt so auch gesellschaftliche Vorurteile und Stereotype gegenüber den kontrollierten Personengruppen und verfestigt daher rassistische Einstellungen und Diskriminierungen.

Racial Profiling ist mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus dem deutschen Grundgesetz ebenso wenig vereinbar wie mit europäischen und internationalen Verträgen wie dem UN-Zivilpakt oder der Anti-Rassismus-Konvention (ICERD). Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarats (ECRI) hat im März 2020 die Polizeibehörden des Bundes und der Bundesländer erneut aufgefordert, eine Studie zum Racial Profiling in Auftrag zu geben. Das Ziel ist dabei, Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, mit denen Racial Profiling beendet und in Zukunft verhindert wird. Bis heute ist Deutschland ist dieser Empfehlung nicht nachgekommen, obwohl ECRI seit 2015 regelmäßig darauf hinweist.

Die Polizei darf sich nicht länger selbst kontrollieren. Amnesty International forderte bereits 2010 in einem Positionspapier die Einrichtung von Unabhängigen Untersuchungsmechanismen für die Aufarbeitung von Vorwürfen gegen die Polizei. Es ist offensichtlich, dass eine Untersuchung von Vorwürfen gegen die Polizei durch die Polizei selbst problematisch ist. Nur eine wirklich unabhängige Stelle kann bei Vorwürfen wie Racial Profiling oder auch dem kürzlich aufgedeckten rechtsextremen Netzwerk bei der nordrhein-westfälischen Polizei Vertrauen und Gerechtigkeit schaffen. Im Falle von Polizeigewalt ist dies schon durch die UN-Antifolterkonvention vorgegeben. Sie besagt, dass jeder Vertragsstaat dafür Sorge tragen muss, dass seine zuständigen Behörden umgehend eine unparteiische Untersuchung durchführen.

In Deutschland bestehen in mehreren Bundesländern Beschwerde- und Ermittlungsstellen gegen Polizeibeamt_innen, die in ihrer Art und ihrem Umfang sehr variieren. So können in NRW Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerden bei der Polizei eingereicht werden. Aus Sicht von Amnesty International ist dies unzureichend: es ist zweifelhaft, ob diese „Selbstkontrolle“ der Polizei stets zu angemessenen Ermittlungen führt. Wie stattdessen ein unabhängiger Untersuchungsmechanismus aussehen müsste, beschreibt Amnesty International ausführlich im Positionspapier. Eine allgemein anerkannte neutrale Kontrollinstanz liegt nicht zuletzt sogar im Interesse der Polizei selbst, denn sie stärkt die Position von Beamt_innen, die zu Unrecht polizeilichen Fehlverhaltens beschuldigt werden.

Im vorliegenden Fall des Schülers Ada Ç. spricht vieles dafür, dass ein Fall von Racial Profiling vorliegt. Knut Rauchfuss, Vorstand der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum (MFH) führt an, es liege nahe, „dass hier aus rassistischen Motiven gewaltsam gegen einen jungen Mann vorgegangen wurde, der für die Beamten äußerlich in ihr Klischeebild vom jugendlichen Drogendealer mit Migrationshintergrund passte.“ In einem weiteren WAZ-Artikel erläutert Prof. Thomas Feltes, Lehrstuhlinhaber für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, dass der Hinweis auf Drogenhandel im Umfeld der Schule die anlasslose Kontrolle tatsächlich noch weniger nachvollziehbar macht: „Dann hätte man direkt dort, wo der Handel beobachtet wurde, eingreifen können und müssen, statt offensichtlich Unbeteiligte zu attackieren.“

Amnesty International Bochum schließt sich daher der Forderung der MFH nach einer Untersuchung des Vorfalls an. Über den Einzelfall hinaus muss zudem das strukturelle Problem angegangen werden: Racial Profiling muss als institutioneller Rassismus erkannt, benannt und abgeschafft werden. Unabhängige Untersuchungseinrichtungen sind dabei ein unverzichtbares Instrument, ohne dass das rechststaatliche Grundprinzip der Gewaltenteilung nicht gewährleistet ist.

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